Organisation des Selbststudiums

Wiki

Einleitung

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Das Thema „Selbstgesteuertes Lernen“ erfreut sich gegenwärtig in der Hochschullehre und darüber hinaus großer Popularität. Viele Studierende absolvieren einen nicht unerheblichen Anteil ihrer Module im Selbststudium. Andere erwachsene Lernende bilden sich parallel zu ihrer beruflichen Tätigkeit weiter und greifen dabei oft zu Selbstlernmaterialien, die auf dem Markt frei zugänglich sind. So können Sie beispielsweise einen MOOC absolvieren oder sich über andere Kanäle mit kostenlosen Lernmaterialien versorgen.
  • Beim Einsatz dieser Lernmaterialien bleibt jedoch häufig unberücksichtigt, dass selbstgesteuertes Lernen eine intensive Beratung und Begleitung notwendig macht. Auch führen selbstgesteuerte Lernprozesse häufig nicht zu den gewünschten Ergebnissen, weil die individuellen Gegebenheiten der Lernenden – etwa ihre jeweils unterschiedlichen Ziele, Motivationen, Begabungen, Lernstile und ihr Vorwissen – keine angemessene Berücksichtigung finden. Nicht selten sind darüber hinaus die Aktivitäten der an Lernprozessen beteiligten Akteure nur unzureichend koordiniert [1]. Schließlich müssen in der Regel bei den Lernenden erst die Voraussetzungen dafür geschaffen werden, mit den neu entstandenen Spielräumen umzugehen [2].
  • Im Rahmen dieses Wiki-Beitrags gilt das primäre Interesse dem selbstgesteuerten Lernen und den Möglichkeiten seiner Integration in digitalen Lernumgebungen. Im Folgenden sollen die Komponenten des Selbststudiums am Beispiel eines Studenten visualisiert werden.

Beispiel

Der Student Max M. erhält die Aufgabe von seiner Professorin, sich mit den Inhalten der Vorlesung intensiv zu beschäftigen und eine Zusammenfassung zu schreiben.

Obwohl diese grobe Aufgabenstellung verständlich und für den einen oder anderen Studierenden bekannt sein mag, gibt sie weder Auskunft zum genauen Herangehen noch zu den thematischen Schwerpunkten.

Planungsphase Bevor der Student zum eigentlichen inhaltlichen Arbeiten (z.B. Nachbearbeitung der Vorlesungsaufzeichnungen, Schreiben der Zusammenfassung) kommt, wird er sich erstmal für sein Selbststudium motivieren (motivational-emotionale Aspekte) und dann dieses planen (kognitive und metakognitive Aspekte) müssen. (Übrigens: In einer Studie haben Glowalla et al. (2002)[3] 250 Studierende befragt, und haben interessante Unterschiede zwischen geplanten und spontanen Lernsitzungen herausgefunden. So überlegen Studierende, die ihr Selbststudium planen, viel häufiger was sie speziell lernen wollen, als spontane Studierende.). In der Planungsphase überlegt sich der Student, wie er am effektivsten vorgeht. Der Student hat bereits öfter in seinem Studium solche Aufgabenstellungen bearbeitet und auf diese Weise gelernt, welche Strategien ihm persönlich beim Gelingen der Aufgabenlösung helfen können. Dieses Wissen eines Lernenden, über seine eigenen Kenntnisse, Fähigkeiten und lernrelevanten Eigenschaften wird als metakognitives Wissen bezeichnet. Daher entscheidet er sich dazu, Notizen mit den wichtigsten Schlüsselworten aus der Vorlesung anzufertigen. Diese kann er später als Grundlage für seine Zusammenfassung nutzen (kognitive Strategien).

Überwachung des Lernprozesses Während der Durchführung der Aufgabe prüft der Student regelmäßig, ob er die Aufgabe sinngemäß löst (Überwachung der Lernprozesse). Dabei beobachtet er, dass die Vorlesungsinhalte schwieriger zu verstehen sind, als er ursprünglich vermutet hat. Er entscheidet, nach einem Vertiefungstext zu recherchieren und diesen zu lesen. Dieser außerplanmäßige Schritt nimmt zusätzliche Zeit in Anspruch und seine Laune ist nun nicht mehr so gut wie vorhin. Deswegen überlegt er, sich nach der Bearbeitung der Aufgabe mit einem Eis zu belohnen (sozial-affektive Strategien).

Evaluationsphase Sobald der Student den Eindruck hat, das Hauptziel der Aufgabe erreicht zu haben, beschließt er mit dem Lernen aufzuhören. Je nachdem wie zufrieden er mit seinem Lernergebnis ist, wird er sich freuen und/oder bei seiner Lerngruppe/Kommilitonen nach alternativen Lösungswegen nachfragen. Diese Evaluationsprozesse schließen mit einer Beurteilung der eigenen Arbeit ab: So kann der Student zum Ergebnis kommen, dass die Aufgabenstellung sehr anspruchsvoll war und er sie doch besser auf zwei Tage hätte aufteilen müssen oder dass er viel früher Rat hätte einholen müssen.

Nun ist das Selbststudium beendet und er geht direkt in die Eisdiele.

Geschichtlicher Überblick

Historisch gesehen liegen die Wurzeln des selbstgesteuerten Lernens bereits bei den Philosophen der Antike wie Socrates, Plato und Aristoteles [4]. Beispiele für Lernende, die selbstgesteuert gelernt haben, sind Alexander der Große, Caesar usw. Personen, die Experten eines Faches geworden sind, ohne eine formale Ausbildung absolviert zu haben, sind u.a. Muhamed Ali, Walt Disney, Pablo Picasso, Henry Ford, Malcolm X[4]. Hiemstra[4] weist darauf hin, dass das selbstgesteuerte Lernen einen wichtigen Aspekt des Wissenserwerbs in Kolonialamerika spielte, wo „social conditions […] and a corresponding lack of formal educational institutions necessitated that many people learn on their own.“ Typische Interessensgebiete damaliger Lernende waren oftmals biblische und andere religiöse Texte, Belletristik, Gartenarbeit, Landwirtschaft, Heimarbeit und Sprachen [5] Viele Arbeiten zum selbstgesteuerten Lernen stammen bereits aus den letzten vier Jahrzehnten und sind somit nicht völlig neu (vgl. Oxford, 1990[6]). Dennoch beherrscht heutzutage kaum ein zweites Thema den Diskurs der Pädagogik so stark wie die selbstgesteuerte Form des Lernens.

Friedrich begründet die hohe Aktualität des Themas damit, dass:

  • erstens ein starker Druck, sich für selbstgesteuertes Lernen zu öffnen, „von außen“ durch Gesellschaft, Politik und Wirtschaft auf die allgemein bildende Schule ausgeübt werde.
  • Der zweite Grund sind technologische Neuerungen. Mit den heute verfügbaren Technologien können (Online-) Lernumgebungen für selbstgesteuertes Lernen realisiert werden, von denen frühere Generationen von Bildungsplanern, Instruktionsdesignern, Medienentwicklern usw. „nur träumen“ konnten [2].

Berücksichtigt man diese und andere Aspekte des gesellschaftlichen Wandels, stellt sich die Frage nach der optimalen Gestaltung der Lernmaterialien in der Hochschullehre.

Definition: Selbstgesteuertes Lernen

Sowohl in der englischsprachigen als auch in der deutschen Literatur zum selbstgesteuerten Lernen kursieren eine Vielzahl an Definitionen. Interessant erscheinen v.a. Definitionen, bei denen sich die Komplexität und der Facettenreichtum des selbstgesteuerten Lernens widerspiegeln. Im Folgenden seien zwei repräsentative Beispiele dokumentiert:


Nach Weitert (1996) Nach Knowles (1980)
Beim selbstgesteuerten Lernen handelt es sich um eine Form des Lernens, bei welcher „der Handelnde die wesentlichen Entscheidungen, ob, was, wann, wie und woraufhin er lernt, gravierend und folgenreich beeinflussen kann.“ ist selbstgesteuertes Lernen ein Prozess, bei dem "... der Lerner – mit oder ohne Hilfe anderer – initiativ wird, um seine Lernbedürfnisse festzustellen, seine Lernziele zu formulieren, menschliche und dingliche Ressourcen für das Lernen zu identifizieren, angemessene Lernstrategien zu wählen und zu realisieren und um die Lernergebnisse zu evaluieren" (Knowles, 1980, S. 18; Übers. durch Friedrich [7].

Aus diesen Definitionen ergibt sich, dass das selbstgesteuerte Lernen Einfluss auf folgende Aspekte des Lernens ausübt:

  • Feststellung der eigenen Lernbedürfnisse durch die Lernenden: Identifikation des persönlichen Lernziels, im Sinne des Erwerbs einer persönlichen Kompetenz
  • Entscheidungen über Teilziele des Lernens: Ermittlung der inhaltlichen Teilziele als Voraussetzung für das Erreichen des Hauptziels
  • Inhaltliche Aspekte: Inhaltliche Planung und Vorbereitung der einzelnen Module
  • Lernressourcen: Sinnvolle Koordination der Ressourcen: Medien und Lernmaterialien durch den Lerner
  • Zeitliche Aspekte: Erwerb von Kompetenzen aus dem Bereich Zeit- und Projektmanagement
  • Methodische Aspekte:Kognitive Verarbeitung des Lerninhalts, z.B. durch Lernstrategien und -techniken
  • Evaluation: Feststellung durch den Lernenden, ob sein anvisiertes Lernziel erreicht wurde. Dabei kann es sich sowohl um formative als auch um summative Evaluation handeln.

Förderung des selbstgesteuerten Lernens

Bei näherer Betrachtung der Definitionsaspekte ist festzustellen, dass beim selbstgesteuerten Lernen bei Lernenden mehr Anforderungen vorausgesetzt und ihnen neue Aufgaben zugemutet werden als im traditionellen Unterricht. In diesem Zusammenhang hat Simons [8] das Anforderungsprofil eines selbstgesteuerten Lernenden herausgearbeitet. Folgende Aufgaben eines Lernenden lassen sich identifizieren:

Das Lernen vorbereiten
Die Lernhandlung durchführen
Das Lernen mit Hilfe von Kontroll- und Eingreifstrategien regulieren
Die Lernleistung bewerten
Motivation und Konzentration aufrechterhalten














Diese erforderlichen Kompetenzen werden wohl kaum im traditionellen Unterricht vermittelt. Somit stellt sich die Frage nach Möglichkeiten zur Förderung des selbstgesteuerten Lernens.

Friedrich/Mandl (1997) [9]gehen der Frage nach der Förderung selbstgesteuerten Lernens nach und entwickeln zwei Ansatzpunkte. Ausschlaggebend für den ersten Ansatzpunkt ist die direkte Vermittlung der Komponenten des selbstgesteuerten Lernens durch den Lehrer/Dozenten. Über das aktive Training von Lernstrategien und Techniken werden den Lernenden Kompetenzen vermittelt, die sie bewusst und gezielt unter allen Lernbedingungen einsetzen können.

Der indirekte Weg zu den erforderlichen Kompetenzen wird im zweiten Ansatzpunkt mittels einer Lernumgebung realisiert. Unter Lernumgebungen verstehen Friedrich/Mandl (1997:258) [9]„das Arrangement der äußeren Lernbedingungen (Personen und Institutionen, Geräte und Objekte, Symbole und Medien, Informationsmitte und Werkzeuge) und Instruktionsmaßnahmen (Lernaufgaben, Sequenz der Lernschritte, Methoden u.a.), die Lernen ermöglichen und erleichtern.“ Vorausgesetzt wird, dass die Lernumgebung durch ihre Konzeptionsart das selbstgesteuerte Lernen fördert und ermöglicht (Friedrich/Mandl, 1997:258)[9].

Selbststudium und interaktive Lernumgebungen

Mehrere Beiträge in diesem Wiki beschäftigen sich mit der Fragestellung „Wie Lernsituationen bzw. Lernumgebungen beschaffen sein müssen, damit sie selbstgesteuertes Lernen anregen, unterstützen und fördern?“ An dieser Stelle wird explizit darauf verwiesen:

Portfolios kennzeichnen sich durch ihren starken didaktisch-methodischen Einfluss. Darunter sind insbesondere folgende Aspekte nennenswert:

  • Portfolios beinhalten lernprozessbezogene Materialien (z.B. Arbeitspläne, Arbeitsskizzen, Selbstreflexion, Kommentare, Evaluationsmöglichkeiten) [10]
  • Portfolios berücksichtigen die Vielfalt der Dimensionen der Lernerbiographie und binden diese in die Planung der Lernprozesse mit ein.
  • Portfolios ermöglichen ein tiefer gehendes Verständnis für eigene Lernprozesse und Lernstrategien (learning awareness) als Voraussetzung für die Optimierung der eigenen Lernprozesse.
  • Portfolios ermöglichen den Einsatz von Instrumenten für die Lernplanung, das speziell für das selbstgesteuerte Lernen von großer Wichtigkeit ist.


Während des gesamten Lernprozesses spielt der Aufbau und die Erhaltung der Motivation eines Lernenden eine wesentliche Rolle.



Literatur

  1. Bärenfänger, Olaf. (2004). Fremdsprachenlernen durch Lernmanagement: Grundzüge eines projektbasierten Didaktikkonzepts. Fremdsprachen Lehren und Lernen, 33, 251-267.
  2. 2,0 2,1 Friedrich, Helmut. (2002). Selbstgesteuertes Lernen – sechs Fragen, sechs Antworten. Online unter: http://netzwerk.lo-net2.de/lfvt/Fortbildung/Paedagogik/Selbstgesteuertes20lernen.pdf (18.12.2013).
  3. Glowalla, U., Glowalla, G. & Kohnert, A. (2002). Studierverhalten in Online-Bildungsangeboten. In Issing, J.L. & Klimsa, P (Hrsg.),Information und Lernen mit Multimedia und Internet: Lehrbuch für Studium und Praxis, S. 359-372.) Verlagsgruppe Beltz: Weinheim.
  4. 4,0 4,1 4,2 Hiemstra, R. (1994). Self-directed learning. In T. Husen & T.N. Postlethwaite (Eds.). The international Encyclopedia of Education (second edition), Oxford: Pergamon Press
  5. Knowles, M. S. (1980). The modern practice of adult education from pedagogy to andragogy. Englewood Cliffs, New York: Cambridge Adult Education).
  6. Oxford, R.L. (1990). Language learning strategies: What every teacher should know. New York: Newberry House Publishers. Now Boston: Heinle & Hienle
  7. Friedrich, Helmut. (2002). Selbstgesteuertes Lernen – sechs Fragen, sechs Antworten. Online unter: http://netzwerk.lo-net2.de/lfvt/Fortbildung/Paedagogik/Selbstgesteuertes20lernen.pdf (18.12.2013)
  8. Simons, P. R. J. (1992). Lernen selbständig zu lernen - ein Rahmenmodell. In H. Mandl & H. F. Friedrich (Hrsg.), Lern- und Denkstrategien. Analyse und Intervention. Göttingen: Hogrefe.
  9. 9,0 9,1 9,2 Friedrich, H.F. & Mandl, H. (1997). Analyse und Förderung selbstgesteuerten Lernens. In F.E. Weinert & H. Mandl (Hrsg.), Psychologie der Erwachsenenbildung (Enzyklopädie der Psychologie, D, Serie I, Pädagogische Psychologie, Band 4: Erwachsenenbildung, S. 237-293). Göttingen: Hogrefe.
  10. Kohonen, V. (1999). Exploring the educational possibilities of the “Dossier”: suggestions for developing the pedagogical function of the European Language Portfolio. In: Enhancing the pedagogical aspects of the European Language Portfolio (ELP). Council of Europe. S.5-30).